Die Bilder von Pjotr und Valery

 Inhaltsverzeichnis

Die Aufsätze

 Andere Aufsätze

 

Brigitte Marschall

FEBRUAR 84/VERNISSAGE – Zeitschrift für den Galeriefreund

AUSSTELLUNG AKTUELL
PJOTR VALIUS
DIE AUSSTELLUNG PJOTR VALIUS WIRD IM FEBRUAR IN DEN NEUEN RÄUMLICHKEITEN DES THEATER BRETT, MÜNZWARDEINGASSE 2, 1060 GEZEIGT.
 

1977 emigrierte Valery Valius aus der UdSSR in den Westen. Die Motivation zu dieser Auswanderung waren die Bilder seines verstorbenen Vaters: Pjotr Valius, ein von offizieller Stelle verfemter Künstler. Bisher blieb die erwartete Anerkennung auch im Westen aus. Pjotr Valius ist noch immer ein unbekannter und möglicherweise verkannter Künstler.

Pjotr Valius wurde am 18. Mai 1912 in Moskau geboren. Schon früh interessierte er sich für Malerei, knüpfte Kontakte zu Künstlern, besuchte Ateliers, begann eine Art Selbststudium. 1936 schloß er sein Architekturstudium ab und arbeitete als Bauingenieur. 11 Jahre später gab er seinen Beruf auf, um sich der Kunst widmen zu können. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst als Dekorateur in einem Kindertheater, später illustrierte er Bücher und Buchumschläge. Als Grafiker wurde er Mitglied des Kunstvereins der UDSSR. In dieser Zeit arbeitete Valius mit verschiedenen Künstlergruppen zusammen, zog in die Natur hinaus, um Studien zu machen, malte Landschaften, Stadtansichten - hier insbesonders Hinterhöfe - und Porträts von Bekannten. Bevorzugtes Material war ÖI auf grundiertem Karton Auf die Frage nach der Art seiner Kunst antwortete er: »Ich bin Realist.« Manchmal fügte er hinzu: ». .. denn Tränen, Schmerz und Freude sind Realitäten.«

Viele seiner Ölgemälde und Tempera-Bilder sind Ausdruck von Schmerz und Verzweiflung, sind bedrückende Phantasien, Alpträume. 1967 entstand das Gemälde »Kreuzigung«: Ein proportionsloser, ins Unendliche gezogener Leib, mit dem Kopf nach unten, festgenagelt an einem Kreuz, verstümmelt, zerschlagen: der gequälte Christus oder Bildnis des Menschen, seiner Lage in der Welt? Einige seiner Bilder handeln von Frauen, von Heiligen, Schwangeren, von Ausgezehrten durch körperliche und seelische Anstrengungen.

»Nike« - die griechische Siegesgöttin - erstreckt sich über die ganze Leinwand, den Mund zum Schrei geöffnet. Ihr Körper ist mit festen Konturen umrahmt, ihre Flügel leuchten in Rosa und Himmelblau.

Auf dem Bild »Lete« ist ein einzelner Mensch dargestellt vor dem Hintergrund eines zwischen düsteren Ufern und finsterem Himmel gefangenen Flusses, inmitten eines bedrükkenden Raumes, Ausdruck der realen Nähe des Todes. Die Bilder beinhalten Augenblicke intensiven Erlebens. Verborgene Gefühle und Gedanken brechen aus den Bildern hervor, sprengen Grenzen. Es gibt aber auch Arbeiten mit politischem Inhalt.

»Der Prozeß«: Richter und Henker, eine gewaltige rote Faust, ein brüllend grüner Mund, die Gestalt des Angeklagten ist als weißer Umriß hinter einem Spitzbogenfenster mit kreuzförmigem Gitter angedeutet. Die meisten Bilder wurden von den Kunstsowjets abgelehnt. 1970 fand Valius einen geeigneten Keller, den er sich zum Atelier umbaute. Bereits schwerkrank arbeitete er intensiver denn je. Im Jänner 1971 entstand das letzte Ölgemälde: »Portrait seiner Frau«. Am 13. Februar starb Pjotr Valius an Krebs.

Von 1971 bis 1976 zeigten seine Frau und sein Sohn die Gemälde im Atelier des Künstlers. 1976 kam es zur gewaltsamen Schließung des Ateliers durch die Polizei. Die Bilder konnten vorher in Sicherheit gebracht werden. Das Gesetz »Zum Schutz der Kultur- und Geschichtsdenkmäler« stellte damals eine Bedrohung für alle privaten Sammlungen dar. Kunstwerke wurden beschlagnahmt, wenn sie falsch untergebracht, »zweckentfremdet« eingesetzt waren, zum Beispiel wenn Bilder in Eigeninitiative einem Publikum gezeigt wurden.

Für die Familie bestand somit keine Möglichkeit mehr, die Bilder in der Sowjetunion auszustellen. Die Ausfuhr der Bilder gelang dem Sohn auf legalem Weg. Die Regeln, die sich immer wieder ändern, waren damals folgende: Man konnte 3 Bilder oder 6 Grafiken mitnehmen. Die Arbeiten mußten von einer Kommission begutachtet und mit dem Vermerk »keine künstlerischen und geschichtlichen Werte« versehen werden. Außerdem mußte der Antragsteller den vollen Preis der Bilder zahlen. Der Witwe war es möglich, den Preis für die Ausfuhr der Bilder zu bezahlen, da zu der Zeit ein Buch von ihr über Künstler, darunter auch über ihren Mann (»Ein glücklicher Mensch«) erschien. Auch gelang es, nicht 3, sondern alle Bilder auszuführen.

1978 konnte der Sohn die Bilder in Wien in der Siemens Data zeigen. Ausstellungen in Universitäten, in Volkshochschulen, im Forum 3 in Stuttgart, in Tübingen und Paris folgten. Valery Valius beklagt ein zu geringes Interesse an den Bildern. Bisher ist es ihm nicht gelungen, die Kunstwerke in Museen und Kunstausstellungen zu zeigen.

Kommerzielle Galerien kommen nicht in Betracht, da sie am Verkauf der Bilder interessiert sind. Sammler bieten sich immer wieder an, doch der Sohn möchte aus moralischen Gründen nicht an einzelne Liebhaber verkaufen. Valery Valius arrangiert Ausstellungen an »kunstfreien« Orten: auf der Straße, in Schulen, in Cafes, in Versicherungsgesellschaften. In seinen Erwartungen enttäuscht, bewahrt er die Bilder meist in seiner Wohnung auf. Dennoch ist er nicht müde geworden, Briefe zu schreiben, Kontakte zu knüpfen, »Wände« für die Bilder seines Vaters zu finden. Das »Theater Brett« bietet ihm nun diese Möglichkeit. Nika Brettschneider wartet mit Neuerungen auf: das eigene Theater in der Münzwardeingasse 2 wird am 24. Jänner mit der Produktion nach Johann Amos Comenius' Roman »Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens« eröffnet, gleichzeitig beginnt die Ausstellung der Bilder Pjotr Valius', die bis 3. März gezeigt wird.

Nika Brettschneider schätzt nicht nur diese Bilder, sie stehen laut ihrer Aussage auch dem Werk des tschechischen Theologen und Pädagogen Comenius nahe, sind eine sinnvolle Verbindung beider Kunstrichtungen. Das Theater ist ab 18 Uhr geöffnet und bietet daher die Möglichkeit, die Bilder in Ruhe betrachten zu können.